Ih, ein Fehler! Fehler und Fehlerquoten in einem Text
Mist, ein Fehler! Kaum ist der Text gedruckt, findest du auf Seite 13 einen Rechtschreibfehler. Beim Durchblättern stellst du zudem fest, dass auf Seite 53 eine Bildunterschrift fehlt und dass auf Seite 75 ein Name falsch geschrieben wurde. So etwas ärgert alle, auch den Korrekturleser und die Korrekturleserin, der oder die den Text gegengelesen hat. Die Profis wurmt ein solcher Fauxpas oft sogar am meisten. Fehler lassen sich nicht vollständig vermeiden, wie jeder, der professionell mit Texten arbeitet, bestätigen wird. Das Ziel ist aber, die Fehlerquote so gering wie möglich zu halten.
Inhalt
Was ist ein Fehler?
Allerdings ergeben sich aus diesem Anspruch eine ganze Menge Fragen: Was ist ein Fehler? Wie errechnet sich die Fehlerquote in einem Text? Und welche Fehlerquote gilt gerade noch als akzeptabel? Dieser Beitrag soll nicht etwa schlampige Arbeit rechtfertigen – wie sie leider gerade im Korrektorat von sogenannten Hobby-Korrektoren immer wieder abgeliefert wird. Aber er will zeigen, dass das Thema „Fehler im Text“ weit komplexer ist, als man zunächst denken mag.
Wenn wir uns mit der Frage der Fehlerquote beschäftigen, ist die erste Frage natürlich: Was ist ein Fehler überhaupt?
Typische Fehler: Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik
Fehlerhafte Orthografie, falsche Interpunktion und mangelhafte Grammatik – das sind die Fehler, die in einem Text schnell ins Auge stechen und über die sich der Autor und die Autorin beziehungsweise der Korrektor und die Korrektorin am meisten ärgern. Auch den Lesern und Leserinnen fallen diese Fehler auf, wie Rezensionen bei Amazon und Co. zeigen. Aber diese offensichtlichen Mängel – zu denen auch eine fehlerhafte Silbentrennung gehört – sind nur die Spitze des Eisbergs. In einem Text können sich noch viel mehr und ganz andere Fehler verbergen.
Zahlen, Abbildungen und Co.
Elemente wie Abbildungen, Tabellen, Berechnungen etc. sind tolle Möglichkeiten, um den Text aufzulockern und den Inhalt zu verdeutlichen. Allerdings bieten sie Fehlern auch eine wunderbare Spielwiese.
- Zahlendreher, falsche Berechnungen, fehlerhafte Gliederungen in den Zahlen usw.: Zahlen und Ziffern können auf sehr vielfältige Art falsch sein.
- Gleiches gilt für Abbildungen. Das beginnt bei der grundsätzlichen Frage, ob das Bild überhaupt zum Text passt oder ob womöglich eine Text-Bild-Schere vorliegt. Ist in der Abbildung Text vorhanden, kann dieser Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler enthalten. Oder die Bezeichnungen weichen vom restlichen Text ab. Oder die Bildunterschrift ist falsch. Oder fehlt ganz …
- Tabellen können sowohl falsche Angaben und Fehler in den Einträgen enthalten als auch fehlerhaft gestaltet sein. Dann bieten die Zellen beispielsweise nicht ausreichend Platz für Ergebnisse, wodurch in Excel das berüchtigte ##### entsteht.
In vielen Fällen darf der Lektor oder darf die Korrektorin bei solchen Fehlern nicht eingreifen. Zahlen in Geschäftsberichten beispielsweise sind tabu – sie fallen in die Verantwortlichkeit der Wirtschaftsprüfer und -prüferinnen. Hier setze ich als Bearbeiterin einen Kommentar, wenn mir etwas merkwürdig vorkommt. Kritisch sind auch Eingriffe in akademischen Arbeiten, die über die Korrektur von Rechtschreib-, Zeichensetzungs- und Grammatikfehlern hinausgehen. Solche Texte sind der Ausweis der wissenschaftlichen Fähigkeiten und führen oft zu akademischen Abschlüssen. Hier ist der Grat zwischen legitimem Korrektorat und illegitimer Hilfestellung sehr schmal.
Namen, Orte und Co.
Dass Namen, Orte etc. korrekt geschrieben sein sollten, versteht sich. Aber auch hier kann es durchaus zu Problemen kommen, die über reine Schusselfehler hinausgehen. Wie ist das mit Namen aus Sprachen, die andere Schriftzeichen verwenden? Wie werden sie transkribiert? Hier gibt es Konventionen, die eingehalten werden müssen.
Erwähnt seien an dieser Stelle auch gleich Übersetzungsfehler. Sie fallen im Korrektorat schon allein deshalb oft nicht auf, weil der Originaltext nicht vorliegt und ein Abgleich daher nicht möglich ist.
Einheitlichkeit
Weniger auffällig als die bisher genannten Fehler ist fehlende Einheitlichkeit im Text. In der Rechtschreibung und Zeichensetzung gibt es zahlreiche Zweifelsfälle, bei denen zwei (oder gar drei) verschiedene Schreibweisen korrekt sind. Die einmal gefundene Lösung sollte aber durch den Text (und beispielsweise bei Buchreihen über verschiedene Titel hinweg) durchgehalten werden. Gleiches gilt für unternehmenseinheitliche Bezeichnungen von Produkten, für Absprachen bei Abkürzungen etc. Da wir hier über Fehler und Fehlerquoten sprechen, kann jede Abweichung von der Einheitlichkeit als Fehler gelten.
Formalia
Zur formalen Kontrolle eines Textes gehören die Überwachung der Typografie und der Auszeichnungen im Text, die Überprüfung von Zitaten, Verzeichnissen sowie Querverweisen und Ähnliches. Je weiter der Produktionsprozess des Textes vorangeschritten ist, desto mehr rücken diese Aspekte in den Vordergrund.
Mängel bei Inhalt, Logik, Struktur, Stil, Sprache
Die bisher genannten Fehlerarten sind alle weitgehend objektivierbar. Es ist grundsätzlich erst einmal leicht zu beurteilen, ob ein Wort richtig oder falsch geschrieben ist oder ob Schreibweisen im Text einheitlich durchgehalten wurden (auch wenn es schwierig ist, diese falsch oder uneinheitlich geschriebenen Wörter im Text zu entdecken). Daneben gibt es aber auch noch Fehler und Mängel, die weniger offensichtlich sind und durchaus von der subjektiven Einschätzung des jeweiligen Bearbeiters oder der jeweiligen Bearbeiterin abhängen können.
Als Faustregel kann gelten, dass die objektivierbaren Fehler eher im Korrektorat aufgestöbert werden, während die folgenden Aspekte eher Thema im Lektorat sind. Grundsätzlich gilt zwar, dass der Autor und die Autorin für die Korrektheit dieser Punkte verantwortlich sind. Der Lektor oder die Lektorin macht nur Vorschläge und hat keinen Einfluss darauf, ob diese auch angenommen werden. Das ändert aber nichts daran, dass diese Mängel von Dritten oft als Fehler wahrgenommen und häufig dem Bearbeiter oder der Bearbeiterin angekreidet werden.
Inhalt
Ist das, was dort geschrieben ist, inhaltlich überhaupt richtig? Das ist weniger einfach zu beantworten, als es zunächst scheint. So lassen sich beispielsweise historische, medizinische, juristische etc. Fakten recht einfach recherchieren und damit verifizieren oder falsifizieren. Wie aber werden diese Fakten bewertet? Da gibt es eine große Bandbreite. Hinzu kommt, dass wir in einer Zeit leben, in der Fakt nicht gleich Fakt ist. Ich erinnere nur an den Begriff „alternative fact“, den die US-Amerikanerin Kellyanne Conway geprägt hat – immerhin Beraterin des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten Donald Trump.
Logik
Ähnliches gilt für die Logik. Was dem einen völlig logisch erscheint, ist für den nächsten ein komplettes Rätsel. Bei der Bewertung dieser Frage ist es wichtig, die Zielgruppe des Textes im Blick zu behalten. Ein Fachtext zu einem mathematischen Problem muss nicht für jedermann logisch sein, für andere Mathematiker oder Mathematikerinnen jedoch schon.
Struktur
Ob die Struktur eines Texts passt oder nicht, ist schon eindeutiger. Schritt-für-Schritt-Anleitungen oder ein chronologischer Aufbau lassen sich relativ leicht auf Korrektheit überprüfen. Auch argumentative oder inhaltliche Dopplungen oder Lücken sind recht einfach zu identifizieren. Aber auch bei der Struktur gibt es natürlich Fälle, die weit weniger eindeutig sind und die für Diskussionen sorgen. Maßstab ist immer die Leserführung: Versteht mein Publikum, worauf ich hinauswill?
Stil und Sprache
Typische stilistische Mängel sind Passivkonstruktionen, Substantivierungen, Bandwurmsätze, Man-Sätze, der übermäßige Einsatz von Fachbegriffen und Anglizismen etc. Weiterhin kann die Sprache nicht zielgruppengerecht sein oder von den Sprachregelungen des Unternehmens abweichen. Handelt es sich in diesen Fällen um Fehler? Aus strenger Lektorinnensicht muss ich sagen: Ja, im Grunde sind das Fehler, die während der Bearbeitung ausgemerzt werden sollten. Aber auch hier liegt die endgültige Entscheidung beim Autor oder der Autorin.
Wie errechnet sich die Fehlerquote?
Eine Quote setzt immer zwei Werte ins Verhältnis zueinander. Die Fehlerquote ergibt sich aus der Anzahl der Fehler im Gesamttext im Verhältnis zum Gesamttext. Aber was genau heißt das?
Welche Fehler zählen?
Die Auflistung oben zeigt: Jeder Text bietet unzählige Fehlerquellen – vermutlich habe ich sogar noch einige vergessen (und damit einen Fehler in diesen Text eingebaut). Die Frage ist nun, wie sich diese Vielzahl auf die Fehlerquote auswirkt.
- Welche Fehler werden in der Fehlerquote berücksichtigt? Wer nur Rechtschreib-, Zeichensetzungs- und Grammatikfehler zählt, tut dem Dienstleister oder der Dienstleisterin möglicherweise Unrecht, wenn diese bei der Bearbeitung unzählige Fehler in mathematischen Berechnungen oder in Abbildungen rausgefischt haben.
- Was war vereinbart? Wer ein Lektorat bucht, bekommt seinen Text mit Kommentaren zu Stil und Sprache, mit Vorschlägen zu strukturellen Veränderungen und mit einem ganzen Fragenkatalog zum Inhalt zurück. Fällt einem Lektor oder einer Lektorin ein Rechtschreibfehler auf, wird dieser zwar korrigiert, eine explizite Suche danach findet in einem Lektorat aber nicht statt. Die Fehlerquote nach einem Lektorat und vor dem Korrektorat zu berechnen, ist also wenig sinnvoll.
- Wie viele der Korrekturen wurden tatsächlich angenommen? Diese Frage wird dann wichtig, wenn sich Auftraggeber und Auftragnehmer über die Qualität des Endergebnisses streiten. Bei Rechtschreib-, Zeichensetzungs- und Grammatikfehlern sollte die Quote der angenommenen Korrekturen nahe 100 Prozent liegen. Bei anderen Korrekturen kann sie aber auch weit darunter liegen. So werden erfahrungsgemäß Fehler in Abbildungen oft nicht ausgemerzt, weil es zu aufwendig ist, die Grafiken und Bilder neu zu erstellen. Das ist aber von Auftraggeber zu Auftraggeber unterschiedlich.
Welcher Bezugswert ist für die Fehlerquote sinnvoll?
Die Anzahl der Fehler soll für die Fehlerquote auf den Gesamttext bezogen werden. Was aber ist der Gesamttext? Die Anzahl der Zeichen? Der Wörter? Der Seiten? Der Textdienstleister Zindel, der auf technische Dokumentationen spezialisiert ist, hat dazu eine sehr lesenswerte Präsentation (Ohne Fehler geht es nicht – Doch wie viele Fehler sind erlaubt?, www.zindel.de, Autor: Hansl Rothbauer) erstellt. Ein Zitat daraus:
„Fehlerquote – Wie viel ist 1 Prozent?
- Von den 100 Seiten ist nur 1 Seite falsch.
- Von den 30 000 Wörtern sind ganze 300 Wörter fehlerhaft.
- Von den 200 000 Zeichen sind ganze 2000 Zeichen verkehrt.
Solange die Bezugsgröße nicht definiert ist, bleibt die Angabe einer Fehlerquote ohne Aussagekraft.“
Das Problem bei Bezugswerten wie Wörter, Zeichen und Seiten ist, dass bei ihnen Aspekte wie Logik, Inhalt und Struktur nicht berücksichtigt werden. In der genannten Präsentation wird daher zur Berechnung der Fehlerquote sinnvollerweise ein erweiterter Ansatz gewählt: Die Zahl der Fehler wird in Bezug gesetzt zur Zahl der Zeicheneinheiten im Sinne der Semiotik (das ist die Lehre von Zeichensystemen aller Art). Zu den Zeicheneinheiten gehören Wörter, Sätze, ganze Absätze, Abbildungen, Symbole, Auszeichnungen etc., also letztlich alles, was einen Inhalt vermittelt. Laut Präsentation beträgt das Verhältnis von Wörtern zu Zeicheneinheiten 100:120. Ich bin versucht, diese Quote sogar noch höher anzusetzen: Im Vortrag wurden Aspekte wie Stil und Sprache nicht berücksichtigt, die jedoch in der Kommunikation eine immense Bedeutung tragen.
Für die Zahlen aus dem obigen Beispiel ergibt sich also, dass ein Text mit 30 000 Wörtern (mindestens) 36 000 Zeicheneinheiten enthält. Eine Fehlerquote von 1 Prozent hieße, 360 dieser Zeicheneinheiten sind in irgendeiner Form falsch.
Welche Fehlerquote ist akzeptabel?
Stellt sich nun die Frage, wie viele Fehler in einem Text als gerade noch akzeptabel gelten können. Das kann nur der Auftraggeber oder die Auftraggeberin entscheiden. Wer einen weitgehend fehlerfreien Text haben möchte, muss entsprechend in die Qualität investieren. Das kann beispielsweise bedeuten, ausreichend Mittel aufzuwenden, damit eine Korrektur nach dem Vier-Augen-Prinzip möglich ist.
Profis sind in der Regel bemüht, die Fehlerquote unter 0,1 Prozent zu drücken. Ob das allerdings gelingt, hängt von vielen Faktoren ab, vor allem von der Qualität des Ausgangstextes und den Ressourcen – also Zeit und Geld –, die zur Verfügung stehen. Wer unter Zeitdruck einen stark mit Fehlern durchsetzten Text korrigieren soll, wird mehr übersehen als jemand, dem ein sauberer Ausgangstext vorliegt und der ausreichend Zeit für die Kontrolle hat.
Es ist einfach, über Fehler in einem Text zu schimpfen. Ich selbst bin jedoch sehr vorsichtig mit solcher Schelte geworden, denn in der Regel kenne ich weder den Ursprungstext noch die Rahmenbedingungen, die Absprachen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer und weiß zudem nicht, wie viele Korrekturen der Autor oder die Autorin angenommen oder abgelehnt hat. Ohne diese Informationen ist es allerdings oft schwierig, die Qualität der Arbeit zu bewerten (wobei es durchaus auch Fälle gibt, in denen die Schlamperei offenkundig ist).
Übrigens habe ich einmal gelesen, dass Korrektoren und Korrektorinnen in Verlagen besonders häufig an Burnout erkranken, weil sie zu wenig Anerkennung erhalten. Während niemand sieht, wie viele Fehler sie – oft unter Zeitdruck arbeitend – aus dem Text rausgeholt haben, wird ihnen jeder noch so kleine Lapsus, der ihnen durchgerutscht ist, zum Vorwurf gemacht. Eine sehr belastende Situation. Leider finde ich die Quelle nicht mehr (wieder ein Fehler!). Aber vielleicht kennt jemand diesen Text und hat dazu einen Link oder Ähnliches? Dann würde ich mich über einen Hinweis in den Kommentaren freuen.
djama – AdobeStock
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Superguter Artikel, liebe Cordula, vielen Dank dafür! Sehr umfassend – und so wahr! Macht er doch deutlich, was wir Lektoren leisten. Und dass Lektorat und Korrektorat zwei Paar Schuhe sind. Das mit dem häufig zu beobachtenden Burnout von Korrektoren und Korrektorinnen in Verlagen wusste ich gar nicht. Schlimm. Viele Grüße!
Vielen Dank für das Lob, liebe Anja. Aus so berufenem Mund freut es mich besonders. Ich hoffe ja immer noch, dass ich den Artikel über die Korrektoren und Korrektorinnen noch wiederfinde. Dann werde ich ihn hier verlinken.
Beste Grüße
Cordula
Hallo Cordula,
wie passend! Ich stehe mit meinem ersten Buch genau an der Schwelle zwischen Lektorat und Korrektorat.
Und es zeigt sich wieder: obwohl ich selber als Lektorin und Autorin arbeite, ist es nicht sinnvoll, diese Aufgaben beim eigenen Buch selber zu übernehmen. Ich bin dann einfach betriebsblind…
Herzliche Grüße, Katharina
Stimmt, liebe Katharina, bei seinen eigenen Texten wird man einfach fehlerblind. Viel Erfolg mit deinem ersten Buch. Ich bin gespannt …
Beste Grüße
Cordula
Hallo Cordula, seit heute ist die erste Auflage zu haben: https://ichgebaere.com/der-kompetente-hausgeburts-vater/
Herzlichen Glückwunsch zum Buchbaby. Was für ein spannendes Thema. Ich wünsche dir viel Erfolg mit deinem Buch.
„der übermäßiger Einsatz von Fachbegriffen“
Tststs.
Danke für den Hinweis. Ich habe den Fehler korrigiert.